Besuche bei den Waldensern in Sizilien
37 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Basel und Umgebung machten sich am 15. Mai auf die Reise nach Sizilien. Im abwechslungsreichen Programm mit vielen Sehenswürdigkeiten Siziliens waren auch Besuche des Centro Diaconale La Noce und der Waldensergemeinde in Trapani vorgesehen.
Walter Bammerlin,
Einen kurzen Bericht mit Fotos über diese Waldenserreise, die von Heidi Fischer und Hanny Wartenweiler organisiert wurde, finden Sie unter:
» Reise zu den Waldensern in Sizilien, 15. - 23. Mai 2009
Hier auszugsweise meine Erlebnisse bei den Waldensern:
A) Centro Diaconale La Noce in Palermo, 15. Mai 2009
Rechtzeitig trafen wir am Sonntag um 10 Uhr im Centro Diaconale La Noce ein. Die Direktorin, Alessandra Trotta, begrüsste uns am Eingang des Gottesdienstraums. Von innen her tönte uns lebendiger Gesang mit Bongo-Begleitung entgegen. Etwa 10 afrikanische Mitchristen stimmten sich auf den Gottesdienst ein. Es sind Migrantinnen und Migranten aus Togo, Elfenbeinküste, Ghana und aus dem Niger. An gut reformierte – eher nüchterne – Gottesdienste der Waldenser gewohnt, war ich gespannt wie sich auch afrikanische Ausdrucksformen in einem Gottesdienst integrieren lassen.
Es wurden uns Faltblätter mit dem Ablauf der Liturgie – nach reformiertem Muster – und dem Bibeltext der Predigt verteilt. Die Choräle wurden Abwechslungsweise gesungen; Italienisch aus dem Waldenser-Gesangbuch und auf Englisch mit afrikanischen Melodien und Rhythmen.
Die Predigt über den Bibeltext 1. Tim. 2, 1-6a wurde zuerst von einem Mitarbeiter des Centro und anschliessend von einem afrikanischen Prediger gehalten.
In beiden Predigten wurde eine Kernaussage deutlich: „Alles was wir investieren, was wir tun und was wir entscheiden, kann nur gelingen wenn es begleitet ist vom Gebet. Ohne Gebet und Fürbitte für alle die entscheiden – auch in der Politik – können wir nicht überleben“
Im Fürbitteteil nutzten viele Anwesende die Gelegenheit zu einem freien Gebet, das mit einem Unser Vater in verschiedenen Sprachen abgeschlossen wurde. Die Kollekte sollte einem Migranten in Not zugute kommen. Diese wurde nicht eingesammelt, sondern die Gaben wurden singend und klatschend in einer Art Polonäse nach Vorne getragen, wiederum begleitet von unseren afrikanischen Geschwistern. Für uns Gäste war dieser „kombinierte“ Gottesdienst eine schöne Erfahrung, die in uns noch lange nachhallte und aufzeigte, dass Integration in einem Gottesdienst möglich ist.
Nach einem Rundgang durch die Schulräume und den Garten wurden wir mit leckeren sizilianischen Spezialitäten verwöhnt und trafen uns anschliessend mit der Direktorin zum Gespräch.
Sie stellte die hauptsächlichsten Tätigkeiten von La Noce vor und beantwortete unsere Fragen. Wir waren beeindruckt vom spürbaren Engagement.
Die Ziele des Centro Diaconale ist:
- den einzelnen Menschen durch das Überwinden der sozialen, kulturellen und psychisch-physischen Lebensbedingungen zu befreien.
- Vorsorgemaßnahem zu schaffen um sowohl Formen psychischer Störungen, als auch Formen der Ausgrenzung aus der Gesellschaft zu vermeiden.
- die Verschiedenartigkeit der Menschen als achtvollen Wert anzuerkennen.
- die Kinder und Jugendlichen zu bewussten und verantwortlichen Bürger zu erziehen.
Die Angebote des Centro sind vielfältig:
- Gästehaus mit 36 Doppelzimmern – zum Ausspannen im Urlaub als Gruppe, alleine oder mit der Familie.
- Kindergarten und Grundschule – insgesamt 125 Schüler
- Reha- Zentrum für Therapiemassnahmen für Kinder und Jugendliche von 0 bis 16 Jahren, in welchem Logopädie, Psychomotorik, kognitive Therapie, etc. eingesetzt wird.
- Beherbergung von Kindern, die in ihren zerrütteten Familien nicht mehr leben können.
- Vorübergehende Aufnahme von Immigrantinnen, nach ihrer Entlassung aus dem Spital.
- Beratungsstelle für Frauen und Familien.
Das Centro Diaconale stellt bewusst die bedürftigen Menschen in Mittelpunkt und dies unabhängig ihrer Herkunft, Nationalität und Religion.
Alessandra Trotta richtete ihren herzlichen Dank an alle Spender und Spenderinnen in der Schweiz, die dem Spendeaufruf vom Herbst 2008 gefolgt sind. Es sind bis heute für die drei Projekte rund CHF 80'000.- zusammengekommen. So können nun die zwei Werksräume für Frauen eingerichtet werden, vier Schüler erhalten ein Stipendium für weiterführende Schulen und mit dem einrichten der Zimmer in der alten Liegenschaft kann begonnen werden.
Mit vielen guten Wünschen verliessen wir schliesslich das Centro Diaconale La Noce mit dem Wissen, dass unsere Unterstützung nach wie vor notwendig ist und unsere Spenden in guten Händen sind.
B) Besuch in der Gemeinde Trapani, 18.Mai 2009
Aus der Höhe der auf 750 m liegenden Festung von Erice sahen wir die Stadt Trapani aus der Vogelperspektive. Sie liegt auf einer sichelförmigen Landzunge im äussersten Nordwesten Siziliens und hat rund 71'000 Einwohner. Trapanis Geschichte ist so alt wie die griechische Mythologie. Trapani war zeitweise wichtigste Hafenstadt Siziliens und erlebte im Verlaufe der Jahrhunderte viele Höhen und Tiefen. Mit dem Wiederaufbau von 1950 bis 1956, nach den Luftangriffen im Zweite Weltkrieg, gelang es, wirtschaftlich wieder Fuss zu fassen. Es ist eine moderne und lebendige Stadt mit all ihren sozialen und politischen Problemen. Leider gilt trapanesische Mafia als eine der einflussreichsten Siziliens. Sie kontrolliert den Drogenhandel, weitgehend auch die Politik und grosse Teile der Bevölkerung durch ihr Einfordern von Schutzgeldern.
Auf der Fahrt durch die Stadt fanden wir das vor drei Jahren eingeweihte Kirchengebäude problemlos. Es ist eine interessante Liegenschaft, die mit einfachen Mitteln in die bestehenden Mauern einer ehemaligen Werkstatt eingebaut wurde. Elemente der früheren Nutzung sind immer noch sichtbar. So stützt sich zum Beispiel das Dach auf der früheren Kranbahn ab. Im Eingangsbereich sind die Ökonomieräume und hinten befindet sich ein geschmackvoll eingerichteter einfacher Gottesdienstraum.
Der junge Waldenserpfarrer Alessandro Esposito freute sich auf unser Kommen und berichtete über die Aktivitäten der kleinen Gemeinde, über seine Ideen und Visionen.
Er betreut die Gemeinde von Trapani und Marsala mit rund 160 eingeschriebenen Mitgliedern, d.h. das sind diejenigen Waldenser, die sich verpflichtet haben eine Art Kirchensteuer zu bezahlen.
Im Gespräch, das von Charles Buffat (Bernische Waldenserhilfe), übersetzt wurde, kamen wir auch auf den Einfluss der Mafia zu sprechen, der das Leben der Bevölkerung negativ beeinflusst. Deprimierend sei der psychische Druck auf die Menschen, die mit Schutzgeldern erpresst werden. Die Vision von Pfr. Esposito ist, den Menschen ihre Freiheit zurückzugeben. Zusammen mit den katholischen Mitchristen und allen ethisch motivierten Gruppierungen in der Gegend, möchte er erreichen, dass sich die Mafia aus diesem „Geschäft“ zurückzieht. Gespräche mit Einflussreichen sollen zu grundsätzlichen Vereinbarungen führen. Ob dies gelingen wird ist unsicher. Auch direkte Gespräche mit Exponenten der Mafia sind problematisch. Wie auch immer, es geht um die Menschen, die so nicht in Freiheit leben können und in ihre Würde bedroht sind. Deshalb sei jede Initiative prüfenswert.
Nach der angeregten Diskussion, in der wir der Situation einer Waldensergemeinde etwas näher gekommen sind, wurden uns von den anwesenden Gemeindegliedern Erfrischungen angeboten. Leider kam der Zeitpunkt des Abschieds, denn wir hatten bis zu unserer Unterkunft in Cefalù noch eine Busfahrt von etwa 180 km vor uns.
INFORMATION UND HINTERGRUND
In einem Interview mit dem Kirchenboten schildert der sizialinische Sänger Pippo Pollina den Einfluss der Mafia und deren Verbindungen zur Kirche und die Korruption im täglichen Leben.
LESENSWERT im Zusammenhang mit den Aussagen von Pfr. Alessandro Esposito
Hier zum Interview mit Tilmann Zuber, Redaktor Kirchenbote
Interwiev mit Pippo Pollina Mafia, RIESI