Geschichtlicher Überblick

Die spannende und auch bedrückende, über 800-jährige Geschichte ist geprägt durch den Willen, sich selbst treu zu bleiben, die eigene Glaubensüberzeugung nicht zu verleugnen, und durch eine bewundernswerte Standhaftigkeit in Zeiten der Verfolgung.

Gründerzeit

ca. 1170
Petrus Waldes liest die Bibel und ändert sein Leben radikal.
Petrus Waldes, auch Valdes, Waldus, Valdus, Peter Waldo, Pierre Waldes, war Kaufmann in Lyon und begründete als religiöser Laie und Wanderprediger die Glaubensgemeinschaft der später nach ihm benannten Waldenser.
Waldes gehörte zum aufstrebenden, selbstbewussten Stand des Bürgertums. Ihn beunruhigte die bange Frage, ob er als reicher Mann selig werden könne. Die Antworten der Priester befriedigten ihn nicht. Er wollte selbst Antworten aus der Bibel finden. Daher beauftragte er zwei Geistliche, die Bibel in die Volkssprache zu übersetzen. Die Lektüre dieser Übersetzung führte zu einer radikalen Änderung seiner Lebenseinstellung und seiner Lebensweise.

1177
Waldes beginnt in Lyon als Wanderprediger.
Nachdem Waldes all seinen Besitz verkauft hatte, verwendete er, aus Weltverachtung, sein Geld für die Armen.
Während einer Hungersnot (1176) organisierte in der Gegend von Lyon öffentliche Armenspeisungen und hielt in den folgenden Monaten Lesungen aus der Bibel, dadurch gewann er zahlreiche Anhänger, die seinem Beispiel von einem frommen Leben in freiwilliger Armut folgen wollten.
Im Ideal eines apostelgleichen Lebens zogen in den folgenden Jahren immer mehr Männer und Frauen in Armut predigend und vom Betteln lebend, durch das Gebiet der Diözese Lyon, weshalb Waldes und seine Anhänger den Namen die „Armen von Lyon“ oder die „Armen Christi“ erhielten

1179
Waldes reist nach Rom, um sich von Papst Alexander III. sein Auftreten als Laienprediger genehmigen zu lassen.
Der Erzbischof von Lyon kehrte sich schon bald gegen die "Armen Christi", weil sie als Laien ohne kirchliche Erlaubnis öffentlich predigten. Darum reiste Waldes 1179 nach Rom. Der Papst sah zwar das Leben in Armut mit Wohlwollen, wollte aber den Waldensern die Laienpredigt nicht grundsätzlich erlauben. Waldes jedoch liess sich nicht vom Predigen abhalten und argumentierte, man müsse "Gott mehr gehorchen als den Menschen" (Apg 5, 29).

1184
Papst Lucius III. verurteilt auf dem Konzil von Verona die Waldenser erstmals als Ketzer.
Der Konflikt mit dem Erzbischof wurde unausweichlich. Auf dessen Betreiben verurteilte Papst Lucius III. 1184 auf Konzil in Verona die Waldenser zum ersten Mal als Ketzer, nicht wegen einer Irrlehre, sondern weil sie unerlaubt weiter predigten. Diese Verurteilung blieb aber zunächst unwirksam, nicht zuletzt, weil die Waldenser die Kirche in ihrem Kampf gegen die Katharer unterstützten.

1206 /1207
Vermutlich stirbt Waldes im Jahre 1206/07
Waldes hingegen wollte den Bruch mit der Kirche vermeiden. Die "Armen Christi" sollten durch ihre Wanderpredigt die Kirche von innen heraus erneuern und zum apostolischen Leben zurückführen.
An dieser Einstellung hielt Waldes bis zu seinem Tod (1206/07) fest. Nach dem Tod von Waldes schien sein Traum doch noch in Erfüllung zu gehen: Papst Innozenz III. (1198-1216) war bereit, den "Armen Christi" die Wanderpredigt zu erlauben unter der Bedingung, dass sie zum Gehorsam gegenüber der Kirche zurückkehrten

1210
Papst Innozenz III. bestätigt Franz von Assisi die Ordensregel in Armut zu leben und Busse zu predigen.
Franz von Assisi (Franciscus Assisiensis; gebürtig Giovanni Battista Bernardone (1181/1182, in Assisi, † 3. Oktober 1226) versuchte, streng und bis ins Einzelne nach dem Vorbild des Jesus von Nazaret zu leben (sogenannte Imitatio Christi). Diese Lebensweise zog Gleichgesinnte und Nachahmer an. Franziskus gründete den Orden der Minderen Brüder. Der kleinen Gemeinschaft um Franz gab der Papst im Sommer oder Herbst 1210 zumindest die mündliche und vermutlich probeweise erteilte Erlaubnis, nach ihrer Regel in Armut zu leben und Busse zu predigen.
Im Gegensatz zu Waldes war Franz einverstanden, sich dem Papst unterzuordnen.

1215
Die Waldenser werden anlässlich dem Vierten Laterankonzil von Papst Innozenz III. erneut als Ketzer verurteilt.
Der harte Kern der "Armen Christi" weigerte sich, unter den Gehorsam der Kirche zurückzukehren, selbst dann noch, als sie auf dem IV. Laterankonzil (1215) zum zweiten Mal als Ketzer verurteilt wurden.
Unbeirrt fuhren die Waldenser fort, als Arme Wanderprediger – teilweise als Kaufleute getarnt – zu predigen. Doch ein grosser Teil der Anhänger zog die Flucht vor. Sie begannen, sich in Europa zu verteilen.

1231
Der Papst setzt gegen die Waldenser die Inquisition ein
Gegen diese Hartnäckigen setzte der Papst die Inquisition ein, die ab 1231 ihm direkt unterstellt war. Die Ketzerrichter, meistens Franziskaner oder Dominikaner, sollten die Waldenser aufspüren, sie verhören, ihre Vergehen feststellen und sie gegebenenfalls verurteilen. Sie wurden an die weltliche Gewalt übergeben und von dieser auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Etwa zur gleichen Zeit setzte die Auswanderung der Waldenser aus Frankreich ein.

13. Jahrhundert
In der zweiten Hälfte des 13. Jh. begannen die Waldenser, sich in den Cottischen Alpen nieder zu lassen
Der Schwerpunkt des Waldensertums lag zu Beginn in den Städten von Südfrankreich und der Lombardei. Die Verfolgung durch die Inquisition führte aber dazu, dass die Waldenser im Laufe des 13. Jahrhunderts auf das Land ausweichen mussten. Es ist wahrscheinlich, dass einige von ihnen zu dieser Zeit Zuflucht in den Tälern der Cottischen Alpen, westlich von Turin, gefunden haben. Hier konnten sich die Waldenser bis heute – mit einigen Unterbrüchen – behaupten.


Mittelalter

14. bis 15. Jahrhundert
Ein grosser Teil der Waldenser wandert in die Gebiete nördlich der Alpen aus
Gleichzeitig zur Besiedelung der Cottischen Alpen verlagerte sich die Waldenserbewegung im 14. und im 15. Jahrhundert in die Gebiete nördlich der Alpen. Bereits um 1200 gab es die ersten Waldenser in Süd- und Westdeutschland. Im 14. Jahrhundert fanden sich waldensische Gemeinden in der Schweiz, Brandenburg, Pommern, Österreich, Böhmen und Ungarn, von denen manche bis ins 15. Jahrhundert bestanden.

1458
Der Waldenserbischoff Friedrich Reiser wird in Straßburg verbrannt
Friedrich Reiser um 1401 in Taiting (Daiting) geboren, war ein deutscher Hussit und Waldenser. Er kam aus waldensischem Elternhaus. 1418 ging er nach Nürnberg und wurde dort zum Prediger ausgebildet. 1420 wurde er Meister der Waldenser und wirkte als Wanderlehrer im Schwäbisch-Alemannischen Raum. 1430 ging er nach Böhmen. Er wurde dort 1432 hussitischer Priester und ein Jahr später in Basel zum Bischof geweiht. Ab 1435 lehrte er im gesamten deutschen Raum hussitisches Gedankengut, wobei er sich auf die waldensischen Gemeinden stützte. 1457 ließ er sich in Straßburg nieder, wurde dort 1458 von der Inquisition erfasst und von einem weltlichen Gericht verurteilt und verbrannt.

1478 – 1480
Die letzten mittelalterlichen Waldenser werden in Deutschland grausam verfolgt.
1478-1480 wurden dann die letzten deutschen Waldenser in Brandenburg ausgerottet. Die Überlebenden suchten Zuflucht in Böhmen und Mähren und schlossen sich der "Brüderunität“ an, die sich 1458 aus verschiedenen hussitischen Gruppen gebildet hatte.

1517
Martin Luther leitet in Wittenberg die Reformation ein.
Am 31. Oktober 1517 gab Luther die bekannten 95 Thesen heraus, um einen Disput über die gesamte scholastische Theologie unter seinen Dozenten-Kollegen in Gang zu bringen. Darin protestierte er weniger gegen die Finanzpraktiken der katholischen Kirche als gegen die darin zum Ausdruck kommende verkehrte Bussgesinnung. Der Ablasshandel war für ihn nur der äußere Anlass, eine grundlegende Reform der ganzen Kirche "an Haupt und Gliedern" zu fordern.

1532
Die Waldenser der Cottischen Alpen, der Provance (Luberon) und Kalabriens schließen sich der Reformation an.
Die Kunde von der Reformation in Deutschland und der Schweiz gelangte bald auch zu den südländischen Waldensern. Sie fühlten sich, wie vorher von den Hussiten, jetzt von den Reformatoren angezogen, insbesondere von Guillaume Farel, der aus der Dauphine stammte. Mit den Reformatoren waren sie einig, die Bibel als einzige Quelle für die Glaubenslehre anzusehen (sola scriptura). Für die Waldenser war jedoch die lutherische Auffassung, dass der Mensch allein durch den Glauben (sola fide) selig werde, verwirrend; sie selbst glaubten, dass der Mensch vor allem durch gute Werke zu seinem Seelenheil beitragen könne. Die Waldenser schickten daher 1530 zwei Wanderprediger zu Johannes Oekolampad nach Basel und zu Martin Bucer nach Straßburg, um ihre Fragen zu besprechen.
Im Beisein von Farel schlossen sich die Waldenser 1532 anlässlich einer Synode in Chanforan im Angrognatal der Reformation an.

1535
Die Waldenser geben ihre erste Bibel in französisch heraus.
An der Synode 1532 wurde auch entschieden, die Bibel neu ins Französische übersetzen zu lassen – eine Aufgabe, die Robert Olivetan, einem Vetter Calvins, übertragen wurde. Die Druckkosten dieser Ausgabe, die 1535 erschien, übernahmen die Waldenser.

1545
Verfolgung der Waldenser in der Provance.
Der öffentliche Anschluss der Waldenser an die Reformation löste im Zuge der Gegenreformation eine heftige Reaktion der katholischen Machthaber aus. 1545 wurden die Waldenser im Luberon blutig verfolgt. 1560 wurden die Waldenser in Kalabrien ausgerottet. 1560 drohte den piemontesischen Waldensern dasselbe Schicksal.

1598
Der französische König Heinrich IV unterzeichnet ein Edikt und gewährt religiöse Toleranz.
Das Edikt wurde am 13. April 1598 in Nantes vom französischen König Heinrich IV. unterzeichnet. Das Edikt von Nantes gewährte den calvinistischen Protestanten (Hugenotten) im katholischen Frankreich religiöse Toleranz und volle Bürgerrechte, fixierte andererseits aber den Katholizismus als Staatsreligion. Zuvor hatten die Calvinisten oder Reformierten eine mehr als 60 Jahre andauernde Verfolgung im gesamten Land zu erleiden gehabt. Das Edikt verhalf auch den Waldensern zu einer Zeit der Ruhe.

1561
Krieg des Herzogs von Savoyen gegen die Waldenser im Piemont.
1560 leisteten die Waldenser im Piemont jedoch, unterstützt von den Waldensern aus dem Chisonetal, so hartnäckigen Widerstand, dass es ihnen 1561 gelang, dem Herzog von Savoyen einen Vertrag abzuringen (erstes Edikt), worin er ihnen innerhalb bestimmter Grenzen Religionsfreiheit zusicherte.

1655
Viele Waldenser des Piemont fallen einem Massaker zum Opfer.
1655 kam es wieder zu einer blutigen Verfolgung im Piemont. Hunderte von Waldensern wurden umgebracht. Dank des diplomatischen Eingreifens des protestantischen Auslandes (es gingen Flugschriften gegen dieses Massaker durch ganz Europa) und des Widerstandes der Waldenser unter der Führung von Josue Janavel fand die Verfolgung ein Ende.

1685
Der französische König Louis XIV. hebt das „Edikt von Nantes“ auf und verbietet die reformierten Kirchen.
Nach der Aufhebung des Edikts von Nantes durch den französischen König Luis XIV im Februar 1685 wurde die Ausübung der reformierten Religion im Chisonetal, das damals zur Dauphine gehörte und französisch war, endgültig verboten. Bereits im Oktober 1685 galt dies in ganz Frankreich. Tausende flohen – darunter auch die Hugenotten. Einige französische Waldenser fanden schon damals eine neue Heimat im nördlichen Hessen. Einige siedelten in den Piemont über.

1686
Ein neuer Krieg gegen die Waldenser droht.
Der Herzog Viktor Amadeus II verfügte unter dem Druck des französischen Königs, ebenfalls gegen die Waldenser in seinem Machtgebiet, im Piemont, hart vorzugehen.

Die schweizerischen Stände setzen sich gegen die Verfügung des Herzogs ein.
Die reformierten Stände Bern und Zürich entsandten 1686, zwei Diplomaten zum Herzog von Savoyen. In Turin angekommen, wurden die Schweizer am 3. März 1686 vom 21-jährigen Herzog frostig empfangen. Zwei Monate lang verhandelten sie mit ihm, jedoch vergeblich. Er gab kein Jota nach und drohte mit Krieg.

Ein Blitzkrieg der Savoyer und Franzosen besiegelt die Auslöschung
Am 10. Mai 1686 griffen sechstausend Franzosen und einige Tausend Savoyer die kaum bewaffnete Waldenser Bevölkerung an. Der Blitzkrieg dauerte drei Tage. Von den 14'000 Waldensern kommen mehr als 2'000 um, 8'500 wurden in Kerkern eingesperrt oder als Galeerensklaven deportiert. Einigen gelang die Flucht in die Berge. Nach Abzug der Truppen organisierten sich die wenigen Überlebenden, verübten nächtliche Handstreiche als Partisanen.

1687
Befreiung der Gefangenen und erstes Exil in die Schweiz und Deutschland.
Die Schweizer Kantone bemühten sich erneut auf diplomatischem Weg während Monaten zugunsten der gefangenen Glaubensgenossen. Die beiden Schweizer Diplomaten wurden im September 1686 nochmals beauftragt, beim Turiner Hof zu intervenieren. Erst im Januar 1687 erlaubte der Herzog den noch lebenden Gefangenen die ersehnte Auswanderung. 2'700 Waldenser erhielten die Erlaubnis, ins schweizerische Exil zu gehen, jedoch unter der Bedingung, dass sie weiter geschoben werden müssen, um ihre Rückwanderung zu erschweren. Noch auf dem Weg zur Grenze wurden ihnen ihre Kinder entrissen.

1689
„Glorreiche Rückkehr“
Die piemontesischen Waldenser verlassen ihr Schweizer Exil und kehren in ihre Täler zurück.

Einem ihrer Pfarrer, Henri Arnaud, gelang es im August 1689, tausend bewaffnete Waldenser und Hugenotten vom Genfer See aus in die Täler zurückzuführen, wo sie sich den ganzen Winter über gegen die Übermacht der herzoglichen und französischen Truppen behaupten konnten. Dies gelang vor allem, weil der Herzog bereits mit der antifranzösischen Koalition Wilhelms III von Oranien in Verbindung stand.

1690
Der Herzog von Savoyen holt die Waldenser zurück ins Piemont und verbündet sich mit ihnen.
Nun auf der antifranzösischen Seite, befürchtete Viktor Amadeus II einen Angriff der Franzosen auf Savoyen. Deshalb suchte er die Grenze zu Frankreich mit gebirgsgewohnten Kämpfer zu sichern. Er forderte am 4. Juni 1690 die in Deutschland und der Schweiz gebliebenen Waldenser zur Rückkehr auf. Den im Exil lebenden Waldensern kam dieses Angebot sehr gelegen, sehnten sie sich doch, in ihre Täler zurückzukehren und dadurch vermeiden, dass die Täler erneut von brandschatzenden, französischen Truppen heimgesucht würden.

1694
Der Herzog von Savoyen gibt den Waldensern ihre Rechte von 1561 zurück
Der Herzog von Savoyen erliess, gemäss dem Friedensvertrag mit Holland und England von 1690, ein Edikt, in dem er die alten Rechte von 1561 wieder anerkannte. Seitdem erlitten die Waldenser keine blutigen Verfolgungen mehr, aber sie waren weiterhin von der piemontesischen Umwelt isoliert. Die Waldenser lebten in ihren Tälern wie im „Ghetto“.

Die Französischen Waldenser aus dem Chisonetal siedeln in die Waldensertäler des Piemont um.
Um einer erneuten Bedrohung zu entgehen, siedelten die französischen Waldenser aus dem Dauphiné in die piemontesischen Täler um. Sie hofften, von dort aus später in ihre eigenen Täler zurückkehren zu können.

1698
Die Waldenser französischen Ursprungs werden aus dem Piemont ausgewiesen.
Aufgrund eines Friedensvertrags mit Frankreich erliess Viktor Amadeus II nochmals ein Edikt, demzufolge alle Waldenser französischen Ursprungs die Täler im Piemont verlassen müssen. Dieses Schicksal traf auch Henri Arnaud. Der Aderlass von ca. 3000 Leuten war für die Verbleibenden ein Rückschlag beim Wiederaufbau der zerstörten Dörfer.

1699 – 1701
In Südhessen, Württemberg und Baden kommt es zur Gründung von Waldenserkolonien.
Nach ihrer Ausweisung fanden die französischen Waldenser eine neue Heimat in Deutschland, das noch unter den Folgen des Dreißigjährigen Krieges litt. Sie bekamen Land zugewiesen und gründeten in verschiedenen südhessischen Territorien, in Württemberg und in Baden-Durlach eigene Dörfer. Das Einleben sollte ihnen durch landesherrliche Privilegien, wie Religionsfreiheit und mehrjährige Steuerfreiheit, erleichtert werden.

Der Freiheit entgegen

Das Leben im Ghetto geht zu Ende. Die Waldenser sind auf dem Weg zur Anerkennung.

1831
Die Waldenser gründen ein eigenes Gymnasium
Das Waldensergymnasium wurde 1831, dank der Initiative des Engländers Charles Beckwith, gegründet. Es entsprach einem echten Bedürfnis der Waldenserbevölkerung, deren Kinder an anderen Schulen – katholischen – religiös diskriminiert oder überhaupt nicht geduldet wurden.

1848
Die Waldenser werden in Italien den anderen Bürgern gleich gestellt.
Endlich war das Leben in der Isolierung zu Ende. 1848 wurden ihnen im „geeinten Italien“ alle Bürgerrechte zuerkannt. Nun konnten sie sich in ganz Italien frei bewegen. Sie begannen, verschiedene diakonische Einrichtengen, darunter Altersheime, Kinderheime, Schulen und Spitäler, zu gründen. Um diese herum entstanden die heutigen Gemeinden der waldensischen Diaspora, die in ganz Italien verstreut sind.

1855
Gründung der theologischen Fakultät in Torre Pellice
Von der Reformation bis 1848 mussten sich die Pfarrer im Ausland, vor allem in Genf, Lausanne und Basel ausbilden lassen. Am 5. September 1855 wurden von der Pfarrerschaft zwei Professoren ernannt, die im Collegio in Torre Pellice ihre Vorlesungen begannen.

Die Waldenser erhalten einen eigenen evangelischen Verlag, die Claudiana
Am 1. November 1855 war es möglich, in Turin die „Gesellschaft für religiöse Schriften“ zu gründen. Mit vielen Erfolgen, Rückschlägen, Standortwechseln und Anfeindungen durch die 150 Jahre hindurch, war die gedruckte reformierte Stimme in Italien seither nie versiegt und die Millionen von Schriften und Büchern mit christlichem und ethischem Inhalt haben viele Menschen in Italien und weltweit erreicht.

1858
Beginn der Emigration von Waldensern nach Südamerika
Einige hundert Waldenserfamilien emigrierten in der zweiten Hälfte des 19. Jh. in Länder, wo sie bessere Lebensbedingungen erwarteten. Eine Gruppe von Männern, Frauen und Kindern machte sich 1858 auf die Reise nach Argentinien / Uruguay. Dort, am „Rio de la Plata“, entstanden die Waldensergemeinden, die 2008 ihr 150-jähriges Jubiläum feiern konnten.


Im Widerstand

1922 bis 1945
Während des „Faschismus“ unter Musolini werden die Waldensergemeinden unter staatliche Beobachtung gestellt.
Protestanten durften auf Grund der Beziehung des Regimes zur katholischen Kirche keine öffentlichen Ämter bekleiden, die französische Sprache (auch im Gottesdienst!) und die Kirchenpresse wurden verboten. Viele piemontesische Waldenser schlossen sich daher während des Zweiten Weltkriegs der Resistenza gegen das Regime Mussolinis und die deutsche Besatzung an. Manch junger Mann wurde Opfer eines Schnellgerichts.

Aufbau und Versöhnung

1947 – 1951
Zeichen der Versöhnung in Europa: Agape.
Zu einer Symbolfigur der Nachkriegsjahrzehnte wurde der Waldenserpfarrer Tullio Vinay. Er baute 1947-1951 mit Jugendlichen aus aller Welt das Tagungshaus Agape in Prali im Germanascatal, als Zeichen der Versöhnung und Ort der Begegnung nach dem Zweiten Weltkrieg.


1961
Gründung des „Servizio Cristiana“ in Riesi
Von 1961 an war Tullio Vinay in Riesi auf Sizilien tätig, wo er gegen die massive Landflucht mithalf das Sozialzentrum Servizio Cristiano aufzubauen. Vinay wollte durch seine praktische Arbeit zeigen, dass die Liebe Christi nationale und gesellschaftliche Grenzen sprengt. Die Christen sollten den Mut aufbringen, mit politischen Parteien zusammenzuarbeiten, die sich für eine gerechtere Gesellschaft einsetzen. Vinay war auch während einiger Jahre im italienischen Parlament.

1967
Ökumenische Öffnung der Waldenserkirche.
Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte eine tief greifende Veränderung in der Waldenserkirche ein. Sie öffnete sich und suchte das Gespräch über die kirchlichen Grenzen hinweg. Sie engagierte sich in der ökumenischen Bewegung und wurde Gründungsmitglied des weltweiten Ökumenischen Rates der Kirchen. In Italien wurde 1967 der Evangelische Kirchenbund (FCEI) zwischen Baptisten, Lutheranern, Methodisten, Waldensern, Adventisten und der Heilsarmee gegründet.

1979
Die Waldenser und Methodisten von Italien schliessen sich zusammen.
1979 erfolgte die Union mit der methodistischen Kirche. Die Kirche erhält den Namen „Chiese Evangeliche Valdesi e Methodiste“. Vertreter/innen der Methodisten wurden in die Synode integriert.



Die volle Freiheit

1984
Nach über 800 Jahren wird den Waldensern die freie Religionsausübung gestattet.
Die volle Freiheit der Religionsausübung erhielten die Waldenser erst 1984, aufgrund der „INTENSA“, eines Abkommens mit dem italienischen Staat. Damit ging eine mehr als 800-jährige Zeit der Unterdrückung und Diskriminierung (zumindest aufgrund der Gesetze) endgültig zu Ende.

Abkommen zwischen der „Chiese Evangeliche Valdesi e Methodiste“ und dem italienischen Staat: Zuteilung der OPM.
Aufgrund der staatlichen Anerkennung der waldensischen Kirche, wurden die Waldenser berechtigt von der Mandatssteuer oder „Kultursteuer“ Italiens, der OPM (Otto Per Mille), zu profitieren. Gemäss einem Beschluss der Synode werden die OPM- Mittel nicht für Kultuszwecke verwendet. Die Kirche soll unabhängig von Staat bleiben!
Die Gelder werden ausschliesslich für soziale und pädagogische Werke eingesetzt.

Gründung eines eigenen Radiosenders
„Radio Beckwith evangelica“ wurde am 1.November 1984, auf Initiative einer Gruppe Jugendlicher der Waldensergemeinde Torre Pellice, gegründet. Hauptziele des Senders sind die Themen, auf denen der Protestantismus und der Glaube der Waldenserkirche gründen, durch Radiosendungen bekannt zu machen. Zugleich soll der Blick offen bleiben für die Veränderungen in der Gesellschaft.

1990
Enge Zusammenarbeit mit den Baptisten Italiens
1990 beschloss die Synode eine enge Zusammenarbeit mit den Baptisten auf der Ebene des Gemeindedienstes.

2003
Wegen zunehmender Verschuldung durch den Betrieb der Spitäler steht die Waldenserkirche am Rande des Bankrots. Die Spitäler werden aufgegeben.
Die Waldenser Spitäler von Torre Pellice, Pomaretto und Turin mussten aufgegeben werden, um aus der Spirale der extrem zunehmenden Verschuldung herauszukommen. Sie wurden von der Region Piemont mitsamt dem Defizit von 68 Mio. € und einschliesslich des gesamten Personals übernommen. Das Defizit kam u. a. zustande, weil der Staat seine gesetzlich und vertraglich vereinbarten Beiträge an die Pflegeleistungen über mehrere Jahre nicht mehr vollständig und zum Teil erst mit mehrjähriger Verspätung ausbezahlt hatte. Mit dem Verlust der Spitäler ging ein Stück Identität der Waldenser in den Tälern verloren. Die Spitäler waren für sie ein sichtbares Zeichen der Diakonie und ihr Stolz.

2005
Nach über 800 Jahren Waldenser Geschichte ist erstmals eine Frau an die Spitze der Waldenserkirche gewählt worden.
Die Synode wählte im August 2005 eine Frau an die Spitze der Waldenserkirche. Die Wahl von Pfarrerin Maria Bonafede (1954) löste entsprechend grosse Reaktionen in der italienischen Presse und im staatlichen Fernsehen (RAI) aus, wie dies beispielsweise die Zeitung Unità betitelte: „Una donna guidera i protestanti“.

Im Januar 2005 wird in Pinerolo ein Denkmal zur Erinnerung an die Verfolgung der Waldenser eingeweiht.
Das Denkmal ist das erste ökumenische Monument in Italien überhaupt und wurde von der Waldenserkirche und dem römisch-katholischen Bischof von Pinerolo in Auftrag gegeben. Die in Bronze gestaltete Rundplastik hat die Form einer großen Flamme und soll die Verbrennung der Waldenser durch die Inquisition darstellen. Hoffnung und Versöhnung symbolisiert eine Mädchengestalt mit erhobenen Händen und mit Blick zum Himmel.

2015
Historische Papst-Entschuldigung an verfolgte Waldenser
845 Jahre nach dem Petrus Waldes, als religiöser Laie und Wanderprediger die später nach ihm benannte Glaubensgemeinschaft „Waldenser“ begründete, stattete am 22.6.2015 Papst Franziskus der Tavola (Kirchenrat) einen offiziellen Besuch ab.
Nach hunderte Jahre ihrer Verfolgung durch die katholische Kirche hat Papst Franziskus die Glaubensgemeinschaft der Waldenser um Verzeihung gebeten.
«Wenn wir über unsere Geschichte nachdenken, können wir nicht anders, als traurig werden angesichts der Konflikte und der Gewalt, die im Namen des eigenen Glaubens verübt wurden»<(i> sagte Franziskus bei dem Besuch.


Quellenangaben


> Giogio Tourn: Henri Arnaud und die „Glorreiche Rückkehr“ der Waldenser
> Albert de Lange: Die Waldenser / Der Weg einer religiösen Minderheit in Europa
> Jubiläumsschrift der „Bernische Waldenserhilfe“
> Wikipedia: Daten der erwähnten Personen und Jahreszahlen